Fotografien im Labyrinth

Knoefels Bilder zum "Schlachthaus Berlin"

 

In Traumerinnerungen und unmäßig wie das Wachsein stellte sich Knoefel Räume vor, in denen Bilder, die das Erlebnis nicht abschwächen, wie Schnittpunkte liegen. Nach einer ersten Ausstellung in der Form eines Tableaus fand von April bis Mai dieses Labyrinth seine Realisierung in der Galerie der Dresdener Kunsthochschule. Seit dem Sommer 1986 bewegt er sich im Banne eines neuen Themas, welches er- immer wieder mit Unterbrechungen fast zwei Jahre lang bearbeitet hat. Am Ende waren in ihm mehrere Sinnebenen und Bezugspunkte gebündelt. Der erste war der konkrete Ort: der ehemalige Schlachthof Berlin, heute VEB Fleischkombinat, im Stadtbezirk Prenzlauerberg. Ein wichtiger Teil der Nahrungsmittelproduktion findet hier statt. Als Schüler hatte Knoefel hier gearbeitet, und es war gewiß in seiner Erinnerung ein Platz, an dem hart gearbeitet wurde. (Über diese beiden Punkte konnte man sich auch mit dem Kombinatsdirektor einigen.)

 

Das nächste, was dann sofort ins Bild rückte, waren die Menschen, dort war ihre soziale und psychische Wirklichkeit. "Wären die Leute nicht gewesen, die am nächsten Tag schon die Fotos sehen wollten, wäre ich wahrscheinlich ausgestiegen." Was treibt aber hinein in diesen Ort? Diese Begegnung muß dann aber im Laufe der Zeit etwas Schicksalhaftes geworden sein. Was entfernt die Art und Weise des Fotografierens vom coolen Reporterstil, von einer Schilderung, die ja selten genau hinsehen will? Es ist da der Charakter des Fotografen und die Besonderheit der Arbeit, in der der Fotograf Chiffren für gesellschaftliches Verhalten sieht. Der Schlachthof als metaphorischer Ort ,an dem sich die Kräfte kreuzen. Döblin, Sinclair und Brecht lieferten Beobachtungen zu dieser Tradition. Das geschäftsmäßig-industrielle, an sich unpathetische Geschehen gewinnt in seiner Banalität absurde Züge. Es geht etwas vor mit dem Menschenbild unter den Verhältnissen der Abstumpfung, und der Fotograf ist bestürzt davon. Die Industrialisierung des Tötens wird zum Symbol nicht mehr überschaubarer gesellschaftlicher Vorgänge. Am Ende blieben einige Dutzend Fotografien, die in eine Installation aus wandhohen und zu engen Gängen gestellten Industrieblechen, eingepaßt sind. Auf den kargen, leicht silbrigen Wänden schwanken die einzelnen Bilder hin und her. Es gibt da Schnappschüsse der Arbeitenden und Ausruhenden, sachliche Porträts, symbolische Details und "nature morte".

 

Durch Bewegungsunschärfen und jähe Schwarz-Weiß-Kontraste wirken manche Bilder wie eine emotionale Abwendung vom Geschehen. Sie sind aber graphisch zu gut in das Gesamtkonzept eingefügt, um nur das zu sein. Stefan Oerndt hat auf die vielfältige, widersprüchliche Art hingewiesen, in der wir Betrachter Knoefels Gefühlswelt kennenlernen. Gerade damit stoßen die Bilder zu traumhaften, visionären und dem oberflächlichen Augenschein widersprechenden Ansichten vor. Unsere Erwartung wird bestätigt wie sie konterkarriert wird. Die Bilder des blutigen Gedärms sind shoking. Aber sie können erst dadurch gegen Verdrängung anarbeiten, da sie an die Industrialisierung und die Massigkeit des Tötens erinnern. (2500 Schweine pro Schicht; das braucht die Großstadt) Auf der anderen Seite sind die Gesichter der Leute, die hier arbeiten. Sie sind durchschnittlich und an einigen Stellen auch beeindruckend ruhig. Die Menschen sind sich bewußt darüber, daß ihr Job doch attraktiv ist und wollen fotografiert werden. Sie sehen ohne Scheu und Ablehnung fast ohne Mißtrauen aus den Bildern heraus. Ich empfinde das, wie Knoefel, als einen festhaltenswerten Tatbestand.

 

Wilhelm Reich schrieb vor 50 Jahren: "Sein Becken und sein Kreuz mag noch so unbeweglich, sein Nacken und seine Schultern mögen noch so starr, die Bauchmuskulatur noch so gespannt, der Brustkorb noch so sehr stolz-ängstlich hochgehalten sein: im tiefen Urgrunde seiner Empfindung fühlt er, daß er nur ein Stück lebendig organisierter Natur ist." Gemeint war der Mensch des 20. Jahrhunderts. Knoefel bewertet die Tatsachen. Er traf aus den belichteten Bildern eine Auswahl und kombinierte sie miteinander, daß eine Verschiebung zum kunstfotografischen Horizont verhindert wird. Auch auf fotografischem Gebiet gibt es eine Tradition des Themas "Schlachthof". Sie reicht von der Reportage (Doisneau) bis zum ästhetisch hoch verdichteten Stilleben (Madam d` Ora). Knoefel geht einen anderen Weg. Für ihn ist Fotografie eine direkte Referenz des Menschenbildes. "Wenn ich kein eigenes Anliegen habe, kann ich mich nicht als Fotograf fühlen." Er sieht menschliche Handlungen nicht als selbstverständlich und beobachtet Anpassung. Fotografen seiner Generation stellen in ihren Bildern und Aktionen immer wieder Fragen, oft erschreckte und beunruhigte, statt Antworten zu geben. Dadurch unterscheiden sie sich auch von ihren bildjournalistisch arbeitenden Kollegen. "Doch die Zeit der Unschuld ist vorbei." (Wolfgang Kil) Die Bilder, besser gesagt die Bildzusammenhänge, sind subversiv geworden. Härte wird geboren aus anhaltender menschlicher Anteilnahme. Die Resonanz, die Ausstellungen jüngerer Fotografen in den letzten Jahren erregten, ist deutlicher Hinweis auf verbreitetes Unbehagen an der gesellschaftlichen Erosion in der DDR der 80er Jahre.

 

Die Ausstellung in Dresden ist inzwischen abgebaut. Ihr Erfolg steht außer Frage. Der verspannte Nacken reckt sich. Das Erlebnis der Ausstellung konnte auf einem Umweg das Empfinden dafür kräftigen, daß wir "nur ein Stück lebendig organisierter Natur" sind und uns auch so verhalten müssen.

 

Berlin, den 19.6.1988 Stefan Raum

 

 

Nachtrag von Stefan Raum 12.4.1997

 

"Knoefels Schlachthaus" - Projekt war und ist ein großes Bild, Kommentar zu einer seelischen und sozialen Grundsituation. Hier soll keine Re-Auratisierung betrieben werden. Die Patina ist kein Körper. Aber er, der Kommentar von damals lenkt zu der Frage, was Kunst heute leisten könnte. Die fotografische Strategie von Knoefel - dem Dokumentarstil ähnlich, wenn auch mit anderer Motivation - erfaßte das Ereignis des industriellen Tötens. Das war weniger ästhetisch als politisch-sozial gemeint. Sein Ausgangspunkt war das damalige Lebensgefühl, welches gerade in Ostberlin so gut wie eine innere Kompaßnadel gewesen ist. Im Gesamtgefüge von staatlicher Bevormundung und eigenwilliger Beharrlichkeit schob sich kulturelle und menschliche Selbstbehauptung durch eine "bleierne Zeit" (Wolfgang Kil). Genaues Hinsehen war Bedingung von Selbstbewahrung.

 

Knoefels Metapher "Schlachthaus" war - und ist - schlüssig: eine reale Situation, die zugleich ein 'mytisches' Problem ist. Sie entstand gewissermaßen instinktiv. Knoefel stellte sich damit einer Situation, die für ihn schwer zu ertragen war. Das nennt man symbolisches Handeln. Vielleicht so nicht mehr möglich. Aber anders. Darüber sollte man sprechen.